Vor dem großen Abenteuer
Der 8 tägige „O-Trek“ im Nationalpark Torres del Paine war in unserer Routenplanung von Anfang an ein Highlight. Was haben wir uns über die Ausrüstung für Patagonien den Kopf zerbrochen: Werden unsere schönen Daunenjacken von Decathlon uns warmhalten? Sind die Schuhe wirklich für eine Passüberquerung geeignet? Halten die leichten Regenjacken dem patagonischen Wind und Regen stand?
Man liest in der Vorbereitung ja immer so einiges über die widrigen Witterungsbedingungen im Nationalpark. Eingedeckt mit mehr als zwei Kilo Nudeln, Fertigsuppen, einem Kilo Studentenfutter und der geliehenen Campingausrüstung von Eduardo aus unserem tollen Hostel „La independencia“ ging es also am 25.02.2019 mit dem Bus Richtung Nationalpark. Was waren wir gespannt und aufgeregt! Von patagonischem Wetter war weit und breit nichts zu sehen, die Sonne lacht mit uns um die Wette!
Tag 1: Camp Central Torres – Seron, 13 km, 4h
Die Wanderung beginnt mit einem Anstieg über kleine, gewundene Feldwege. Die Natur und der Ausblick, der sich schon bald ergibt, begeistern uns schon jetzt. Über Wiesen und durch einen Märchenwald, der mit knorrigen Bäumen und unendlich viel Wurzelwerk an eine Kulisse aus dem Hobbit erinnert, führt uns der Weg bis zum einfach ausgestatteten Camp Seron.
Wir checken ein, stellen das erste Mal unser kleines Marmot Limelight 2 auf und kochen heiß ersehnte Nudeln in einem dunklen Kochzelt. Auf Geheiß der anderen Camper hin packen wir unsere kompletten Vorräte in unsere Zelttasche und hängen sie an einem Seil an einen Baum, an dem in Säcken und Tüten schon der Proviant der anderen Trekker wie Kugeln an einem Weihnachtsbaum schaukelt. Anscheinend kommen nachts irgendwelche Kleintiere, die sich gerne am Essen der Camper stärken.
Tag 2: Seron – Dickson, 19 km, 6 1/2h
In vollstem Vertrauen auf unsere Synthetik-Schlafsäcke haben wir uns gestern recht leicht bekleidet schlafen gelegt – ein Fehler, denn es hatte nachts nur 4 Grad und dementsprechend kalt war uns. Mit Tee und Porridge aufgewärmt starten wir ziemlich als letztes in den Tag. Die heutige Tour ist mit 19 km eine der längsten, die uns erwarten wird.
Die Tour beginnt erneut mit einem steilen Anstieg. Von Serpentinentechnik scheinen die Chilenen nichts zu halten, es geht einfach straight ahead den Berg hinauf. Wahnsinnig anstrengend sind die knapp 300 Höhenmetern mit den (noch) schweren Rucksäcken. Oben angekommen werden wir mit einem wunderschönen Ausblick über Bergsee und Gletscherkette belohnt. Es wird windig und der weitere Weg ist durch die vielen Steine und teils steile Passagen ziemlich anstrengend. Wieder im Tal führt er uns über Wiesen und durch kleinere Wälder, in denen sogar Papageien hausen! Ab Kilometer 15 gehen uns die schweren Rucksäcke und die schmerzenden Beine zunehmend an die Substanz. Schon wieder geht es den Berg hinauf, so weit kann es doch nicht mehr sein!
Gerade, als wir uns auf den Boden setzen und weinen wollen, überrascht uns der Anblick des Camps Dickson in seiner ganzen Schönheit: Es liegt auf einer kleinen Halbinsel direkt an einem kristallklaren See, gegenüber erhebt sich majestätisch der Gletscher „olvidado“. Fantastisch, wunderschön, atemberaubend. Als hätte man uns an eine Powerbank angeschlossen, läuft sich der letzte Kilometer nun wie von allein. Am „Strand“ des Sees feiern wir in der wärmenden Abendsonne die zurückgelegte Strecke mit dem abgefüllten Rum und einer Zigarre aus Kuba. Was für ein Tag!
Tag 3: Dickson – Los Perros, 12 km, 4h
In dieser Nacht waren wir schlauer und haben uns in die volle Ladung Jacken von oben bis unten eingepackt. Warm war es, weich aber nicht… Heute ist eine entspannte Etappe dran und das ist auch gut so. Auf den ersten Metern des Weges sagen unsere Waden, Knie und Beine „hallo!“; die lange Strecke des Vortages macht sich ziemlich bemerkbar. Trotzdem schnaufen wir tapfer die Hügel hinauf und hinab, das Wetter ist heute eher trüb.
Die Landschaft begeistert uns mal wieder, irgendwie sieht es alle 200 Meter anders aus! Wir laufen durch einen vollkommen ursprünglichen Wald, Farne und Gräser bewuchern den Waldboden, darüber erheben sich anmutig die Märchenwaldbäume. Es fängt leicht zu regnen an, aber der Wald dient uns als großer Regenschirm und das Blätterdach schützt uns vor der Feuchtigkeit. Auf dem Weg begegnen wir nun immer wieder denselben Gesichtern. Die meisten rennen mit ihren riesigen Rucksäcken in unglaublichem Tempo los, um nach 400 Metern erschöpft Pause zu machen. Wir lassen uns in unserem gemütlichen Laufstil nicht stören – „langsam, aber beständig!“ ist unser Motto!
Der Wald lichtet sich und das letzte Stück der Tour führt uns über ein ausgewachsenes Geröllfeld. Durch den Regen sind die Steine nass und teils rutschig und lassen die letzten Kilometer zu einer kräftezehrenden Aufgabe werden. Wo in aller Welt soll in dieser Steinwüste ein Campingplatz sein? Endlich weist uns eine Solarzelle den Weg zum Camp Los Perros. Es ist eine der einfacheren Unterkünfte, Dreckboden und kalte Duschen. Uns stört das nicht. Wo soll in dieser Einöde auch der Luxus herkommen?
In der Kochstube machen wir uns Reis mit angebratenen Zwiebeln. Ein kanadisches Pärchen steckt neidisch die Nase in unseren Topf. „Eure Küche ist viel leckerer, ihr macht alles selber!“, bemerken sie und löffeln ihr aufgegossenes Adventure-Food direkt aus der Tüte… Stimmt, denken wir. Zwischen all den voll ausgestatteten Amis und Chilenen mit ihren Hightech-Kochern, Sea to summit Töpfen, Jetboilern und was nicht alles stinken wir mit unserer zusammengewürfelten Ausrüstung zwar etwas ab. Mit gefriergetrockneten Fertiggerichten können wir jedoch locker Schritt halten! 🙂
Tag 4: Los Perros – Grey, 16 km, 10h
Heute erwartet uns die anstrengendste, anspruchsvollste und kräftezehrendste Etappe des gesamten Treks: Der John Gardner Pass ruft! Überall heißt es, dass man für diese Tour möglichst früh das Camp verlassen soll, gerade, wenn man nicht nur zum kostenlosen Camp El Paso, sondern weiter zur Grey Lodge laufen will.
Schon seit 5 Uhr klappern also draußen die Zeltgestänge, schließen sich die Reisverschlüsse der Rucksäcke und die ersten Wanderer stiefeln los. Es ist stockfinster. Als wir gegen halb 8 Uhr starten, sind wir fast die letzten. Mittlerweile können wir im Dämmerlicht den Weg ohne Lampe erkennen, und das ist gut so, denn er ist wunderschön! Sicher, wäre das Wetter nicht so perfekt gewesen, wie an diesem Morgen, hätten wir vielleicht früher losgehen müssen. Als jedoch die Sonne über dem von einem Feuer gepeinigten Wäldchen aufgeht und die Berge, Wolken und Täler in glutrotes Licht taucht, sind wir uns wieder mal einig: Das haben wir richtig gemacht. Auch nach Sonnenaufgang ist von patagonischem Wind wirklich nichts zu spüren und wir können ganz entspannt den steilen Aufstieg angehen.
Was hatte ich für einen Respekt vor diesem Tag! Es ist meine erste Passüberquerung, sowieso meine erste Wanderung mit Mehrtagesgepäck. Doch in unserem gemütlichen Tempo kommen wir gut voran und haben einige „Nachtwanderer“ sogar bald eingeholt. Klar ist es wahnsinnig anstrengend, aber es ist wirklich machbar!
Bald befinden wir uns über der Vegetationsgrenze und es gibt nur noch Steine, soweit das Auge reicht. Endlich, nach 600 Höhenmetern steilen Weges, sind wir am Pass angelangt. Über der Kuppe erwartet uns ein Anblick, der mit nichts zu vergleichen ist, was wir bisher gesehen haben: Vor uns erstreckt sich das riesige Packeisfeld „Campo de hielo patagonico sur“, das sich aus dem Grey Gletscher schlängelt und alles einfriert, was sich ihm in den Weg stellt. Unbeschreiblich! Wir sind glücklich! Nach einer ausgiebigen Pause auf dem Gipfel treten wir den Abstieg an. Über 1200 Höhenmeter geht es durch Wälder und über Hängebrücken hinab bis zum See. Das ist nun wirklich anstrengend. Tausend mal lieber wären wir schwitzend den Berg wieder hinaufgestiegen, denn der Talmarsch geht unfassbar auf die Gelenke und an die Substanz. Dennoch ist und bleibt es für uns die beeindruckendste und wunderschönste Tour auf dem gesamten Trek.
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Im Refugio Grey dürfen wir uns auf ein richtiges Bett freuen, denn einen Campingplatz konnten wir nicht mehr ergattern. Was für ein Glück! Das Grey ist mit Abstand das schönste Camp auf dem Weg, super gemütlich, sauber und mit heißen Duschen! Wir beschließen, den Tag zu feiern und uns vom Refugio bekochen zu lassen. Frisch geduscht sitzen wir mit den Kanadiern, zwei Texanerinnen und einem deutschen Pärchen aus Konstanz am Tisch und genießen das Drei-Gänge-Menü. Das haben wir uns redlich verdient! Es wird einer dieser Highlight-Tage auf unserer Weltreise. Wir führen gute Gespräche mit Janina und Jan und lassen uns dabei ein Bier schmecken, das teurer ist, als auf dem Oktoberfest, aber das ist uns in diesem Moment wirklich komplett egal… 🙂