02.03.2019
Der Morgen beginnt hektisch. Wie immer brauchen wir mit Packen länger, als geplant und wir können nur das halbe Frühstück des Hostels in Anspruch nehmen. Mit dem Tuc Tuc lassen wir uns erstmal wieder zum Flughafen chauffieren. In der kolumbianischen Migrationsbehörde hatte man uns gestern noch zu später Stunde freundlich erklärt, dass per Flugzeug Einreisende ihren Stempel in der Behörde am Flughafen in Leticia abholen müssen. Nach ein paar Minuten Wartezeit haben wir zum Glück unseren Ausreisestempel im Pass.
Weiter geht es nach Tabatinga und vorher noch zum Geldautomaten, der nach einigen Hürden dann endlich funktioniert. Mit Bargeld und allen Stempeln präsentieren wir uns kurz nach 9 Uhr am Ticketschalter. Unsere Pässe werden zwei Mal peinlich genau kontrolliert – zum Glück passt alles. Unser Gepäck legen wir auf eine der langen gelben Linien auf dem Boden. Schließlich geht es los und die erste Linie darf an Bord gehen. Bevor man sich niederlassen darf, kontrolliert eine Staffel Polizisten noch die Rucksäcke. Es scheint hauptsächlich um Drogen und Tabak zu gehen, aber einen Hund haben sie nicht. Drei Mal werde ich nach Marihuana gefragt und verneine dies vehement. Der Polizist räumt meinen Rucksack aus und schaut unter alle Taschen, findet aber unsere sechs kubanischen Zigarren nicht!
Gelbe Gepäcklinien am Hafen
Das Oberdeck ist mit Hängematten bespannt
Endlich können wir im oberen Deck unsere Plätze beziehen. Zum Glück ist das Fleckchen noch frei, das wir uns gestern ausgeguckt hatten. Wir installieren mehrere Male unsere leichten Hängematten, bis wir die perfekte Höhe und Straffung gefunden haben und lassen uns entspannt in den Stoff sinken. Neben uns bauen sich zwei weitere Gringos auf, Isabella aus Dänemark und Christoph aus der Schweiz. Da unüblicher Weise die Sonne vom Himmel knallt, ist es unter dem Metalldeck unglaublich heiß. Viele Einheimische ziehen nach unten nahe an den Maschinenraum um. Trotzdem füllt sich unser Deck und ist bald kreuz und quer mit bunten Hängematten bespannt. Alle sind sehr lieb und freundlich. Es herrscht eine ruhige und friedliche Atmosphäre, als wir planmäßig um 12 Uhr nach drei lauten Nebelhornstößen den kleinen Hafen verlassen.
Als das Schiff in Flussrichtung Fahrt aufnimmt, kommt etwas Wind auf und es wird zum Glück kühler. Auf unserem Deck gibt es einen Trinkwasserspender und vier Toiletten- bzw. Duschkabinen. Die Klos spülen mit braunem Amazonaswasser. Nach einer Stunde erreichen wir die erste Anlaufstelle. Fracht wird ent- und beladen, viele Händler kommen an Bord und wollen Snacks, Essen, Uhren und Schmuck verkaufen. Gegen 17 Uhr gibt es Abendessen. Die Küche befindet sich auf dem Unterdeck direkt neben dem Maschinenraum, der nur durch ein Gitter abgetrennt ist. Über dem langen Gemeinschaftstisch mit blauer Plastiktischdecke schwingt die riesige Ruderanlage hin und her, wenn der Kapitän oben an seinem hölzernen Steuerrad dreht.
Unser Deluxe-Speisesaal neben den Maschinen
Etwas respektvoll mit dem Koch (ja, es war warm...)
Es gibt Reis, Gemüse und Huhn. Die Einheimischen schütten sich massenweise Maniokpulver über ihre Teller. Der Chefkoch, ein dunkler Brasilianer, doppelt so breit wie hoch, trägt ein Neymar-Trikot in Größe XXXL und eine Metzgerschürze. Als ich Anstalten mache, meinen Teller mit nach oben zu nehmen (es ist wirklich extrem laut hier unten), werde ich mit einem Schwall völlig unverständlichem Portugiesisch angeblafft. Er zeigt auf meine beiden Melonenstücke. Aha, denke ich, man darf wohl nur eine nehmen, und lege eine zurück. Wieder ein Schwall Portugiesisch. Er zeigt nun auf die Melone, die ich weggelegt habe. Ich lege die Melone wieder auf meinen Teller. Ein Schwall Portugiesisch gefolgt von wildem Gestikulieren. Ich verstehe irgendwas mit “platos” und reime mir nun endlich zusammen, dass man die Teller nicht mitnehmen darf. Ahaaa! Als mir die Erleuchtung aufgeht, grinst er breit. Schweigend schaufeln wir dicht gedrängt das Essen ins uns hinein, denn man versteht sein eigenes Wort nur, wenn man mit einer brasilianisch-durchdringenden Stimme gesegnet ist. 🙂
Impressionen aus der Hängematte
An der Bar, direkt unter unseren Hängematten, laufen seit heute Mittag durch einen großen Verstärker die selben sechs brasilianischen Reaggetonsongs auf Maximallautstärke. Als es kurz nach 18 Uhr dunkel wird, probieren wir mit Isabella den Billiardtisch aus und spielen einige Partien. Der Tisch ist übersät von überrollten Insekten, die sich unvorsichtigerweise unter die Lampe auf den grünen Stoff gesetzt hatten. Zur falschen Zeit am falschen Ort. Die Kugeln entwickeln ob des schaukelnden Schiffs oft ein Eigenleben, aber das macht nichts, es macht trotzdem viel Spaß! Gegen 22 Uhr fallen wir in die Hängematten, versuchen unter der grünen Nachtlampe eine bequeme Schlafposition zu finden und werden vom leichten Schaukeln der “Macas” in den Schlaf gewogen.
An uns vorbei gleitet nichts als Wald. Stundenlang. Dichter, saftig grüner Regenwald und davor ein Streifen braunes Flusswasser. Man sieht kaum ein Tier, zu viel Platz haben sie in diesem Eldorado, um sich vor den Blicken der Menschen zu verstecken. Ungefähr alle 15 Minuten zieht eine Reihe einfacher Blechhütten am Ufer vorbei, davor einige Einheimische, die den größten Teil des Tages in ihrem kleinen, langgezogenen Fischerboot zu verbringen scheinen. Und dann wieder Wald, so viel Wald.
Der Begriff des Amazonas als “grüne Lunge der Welt” wird für uns auf dieser Reise zu mehr als nur einer Floskel. Wir durchqueren in diesen vier Tagen nur etwa 1/4 der Länge des gesamten Regenwalds, 1200km dichtesten Urwalds mit einer Artenvielfalt und Vegetation, die die Wissenschaft bisher nur bruchstückhaft zu erfassen vermag. Was für uns und die fünf anderen Gringos eine nicht enden wollende Faszination darstellt, ist für die Einheimischen völlig normal, ja sogar wertlos. Völlig achtlos werfen sie Bierdosen und Verpackungsmüll über Bord in den Fluss – es gibt doch genug davon!
Der breite, matschbraune Amazonas
Auf dem 'Sonnendeck' 🙂
Der Tagesablauf an Bord ist schnell erklärt: Um 6 Uhr ruft die durchdringende Stimme des Chefkochs zum Frühstück, 11 Uhr gibt es Mittagessen, um 17 Uhr Abendessen. Die Küche ist zwar nicht abwechslungsreich, aber laut Diego, einem Einheimischen mit zweijährigem Sohn, besser als auf allen Schiffen, auf denen er bisher gewesen ist. Es gibt Reis, Spagetti, Gemüse, Hühnchen und manchmal sogar Salat. Zum Nachtisch Wassermelone.
Irgendwie wird es nicht langweilig, den Fluss zu beobachten
Eine tolle Zeit auf unserem liebgewonnenen Lento
Den Rest der Zeit verbringen wir mit Schaukeln in der Hängematte, Lesen, Hörbücher hören, Kartenspielen und Waldobservation. Ich bin immer noch nicht wieder ganz fit und so eignet sich die Zeit perfekt zum Erholen und Auftanken. Zum Gringokreis gehören außer Isabella und Christoph noch Agustin aus Argentinien, der seit 4 Jahren in Südamerika herumreist und sein Geld mit Straßenmusik verdient, sowie Marik und Santiago aus unserem Hostel, die wegen sinnflutartigen Regens am Freitag Vormittag nun doch erst mit uns gestartet sind. In Kauderwelsch zwischen Englisch und Spanisch entstehen gute und interessante Gespräche über das Reisen, die uns inspirieren und beflügeln. Am Bug des Schiffes, unserem Lieblingsort, an dessen Reling man wie auf der Titanic stehen und den unglaublichen Blick über den teils 1,6 km breiten Amazonas genießen kann, baut Agustin am zweiten Abend seinen kleinen Verstärker auf und wir hören mal wieder “ordentliche” Musik, Pink Floyd und AC/DC.
Am vierten und letzten Tag erreichen wir gegen Mittag den Hafen von Manaus. Direkt vor der Stadt fließt der braune Amazonas mit dem Rio Negro zusammen. Am “Encuentro de Aguas“ treffen sich die beiden Flüsse, aber sie mischen sich nicht und fließen noch kilometerweit nebeneinander her, bis sie sich schließlich zum großen Amazonas vereinen. Ein erstaunliches Naturschauspiel. Und tatsächlich entdecken wir kurz vor Schluss unserer Reise noch die berühmten rosa Süßwasserdelfine!
Amazonas und Rio Negro treffen sich
Ein Lento im Hafen von Manaus
Als wir sieben von Bord gehen, macht sich eine komische Stimmung breit. Wehmütig blicken wir auf unser Schiff zurück. Es ist dieses seltsame Gefühl, als würde man von einer Klassenfahrt nach Hause kommen.
Plötzlich wieder ohne festen Tagesablauf, ohne die vielen bekannten Gesichter und die neuen Freunde. Zu siebt steigen wir in einen orangenen Oldtimerbus, der uns ins Zentrum bringt. Außer Christoph hat noch keiner eine Bleibe. Er empfiehlt uns ein Hostel, das leider voll ist, aber wir können dort das Internet nutzen. Wenig später machen wir uns auf zu unserem Hotel “Las Vegas“ nahe des Theaters. Die Straßen sind wie leergefegt, auf den 800 Metern Fußmarsch zeigt sich keine Menschenseele. Als wären wir aus Versehen in das Filmset eines Thrillers geraten – gruselig!
Die Taxifahrer lauern schon...
Danke euch für eine tolle Zeit! 🙂
Vielleicht ist ja Siesta, denken wir. Nach einer ausgiebigen Dusche mit Nicht-Amazonas-Wasser im Hotel wagen wir uns noch einmal auf die Straße. Nichts und niemand. Die Geschäfte, Restaurants und Häuser sind allesamt verrammelt und verriegelt. Am Theater gibt es immerhin eine Pizza-Fastfood Kette, die geöffnet hat, und so bleibt uns nichts weiter übrig, als dort eine Pizza und eine große Kanne Ananassaft zu verspeisen. (Es gibt schlimmeres…) Als nach 16 Uhr immer noch keine Geschäftigkeit in der Stadt aufkommt, fragen wir nach. “Tudo fechado, feria carneval!” heißt es. Na gut, wir dachten immer, im Karneval wäre was los! Anscheinend nicht in Manaus. Das macht aber nichts, die Stadt ist eh nicht wirklich schön und wir haben einiges zu tun. Den nächsten Tag verbringen wir mit Schreibarbeit nachholen und einem leckeren Essen im vegetarischen Restaurant “Casa da Palmonha“.
Pizza schmeckt mal wieder...
... und ein gutes Sandwich auch!